Das braucht kein Mensch!
Erst einmal ein Nachtrag zum Samstag: Als wir nach der Pizzeria noch kurz auf der heimischen Terrasse sitzen, entdecken wir unterhalb der Palme drei ziemlich dicke, ziemlich grüne und vor allem ziemlich tote Raupen. Rein vorsorglich – vielleicht sind sie ja nur ohnmächtig – befördern wir sie mittels Schippe über den Zaun ins Nachbargrundstück. Am nächsten Morgen finden wir weitere derartige Leichen und schauen uns mal die einzelnen Wedel unserer Palme genauer an: da fehlen ganze Blätter! Der Ernährungszustand der Raupen hingegen war einwandfrei, zumindest bis Klaus das Mittel gegen Schildläuse gesprüht hat. Dann sind sie Ihrer Gefräßigkeit zum Opfer gefallen und ich kann nicht behaupten, dass es mir sonderlich Leid tut.
Den Sonntag verbringen wir mit Nichtstun. Irgendwie ist uns danach, alle Viere mal von uns zu strecken und ein bisschen runter zu kommen. Klaus dümpelt eine Zeit lang in der Hängematte, ich weiß nicht so recht, was ich machen soll. Ich fühle mich auch nicht sonderlich wohl, kriege nur ganz schlecht Luft und fühle mich schlapp. Ich schiebe das einfach mal auf die vielen Zwiebeln gestern auf der Thunfischpizza. Davon habe ich zwar gut 2/3 runter geschaufelt, aber den Rest halt doch gegessen. Dieser Rest, so meine Vermutung, blähte nun meinen Oberbauch auf und drückte gegen Herz und Lunge. Ich trinke eine Tasse Fenchel-Kümmel-Irgendwas-Tee und lege mich ins Bett. Wird schon werden.
Es wurde auch … nämlich schlimmer. In der Nacht habe ich das Kopfkissen komplett durchgeschwitzt, bin entsprechend schlapp. Ich versuche es mit einer ausgiebigen Dusche und fühle mich danach etwas besser.
Nach dem Frühstück (Hunger habe ich eigentlich keinen) fängt Klaus mit der Installation der dritten Seilzug-Markise an. Das war wieder eine Aktion – meine Nerven! Ein Teil der Löcher muss in die Holzbalken, die hart wie Kruppstahl sind. Die Bohrer verglühen regelrecht und das Holz auch. Es stinkt. Ähnlich doof ist es mit den Löchern in der normalen Hauswand. Erst eine Schicht harter Stein und danach ein riesiger Hohlraum, in dem man massenhaft Dübel versenken kann. Irgendwann ist es aber geschafft und die Seile sind installiert. Die Aktion hat uns beide viel Kraft gekostet; Klaus, weil er die Arbeit geschafft hat und mich, obwohl ich nur Handreichungen gemacht habe. Ich bin wohl ziemlich käsig, kann nur ganz flach atmen und nur noch in halben Sätzen reden. Ich muss ins Bett, vielleicht ist es im Liegen besser. Während ich versuche, keine Panik zu kriegen, hängt Klaus sich ans Telefon. Dagma ist leider nicht zu erreichen, aber den Ösi erwischt er und schildert meinen Zustand. Gemeinsam beschließen sie, dass ich ins Krankenhaus muss. Mike und Gisele kommen vorbei, ich werde ins Auto gepackt und ab geht die Post. Gisele fährt mit uns, um uns in die richtige Klinik zu bringen und zu übersetzen.
Die Klinik (HPC – Hospital Poços de Caldas) ist neu gebaut, alles ist hell und freundlich und es kommt auch sofort jemand, der sich um mich kümmert. Das übliche Aufnahmeprocedere managt Gisele, ich kann nur noch nicken oder mit dem Kopf schütteln. Klaus sucht derweil einen Parkplatz, ist dann aber auch zur Stelle. Ich kriege einen gelben Punkt auf die Brust und werde per Rollstuhl in einen großen Raum gefahren, der mit mehreren Liegen an der einen und mehreren bequemen Sesseln an der anderen Wand möbliert ist. Die Sessel sind, bis auf einen in der Ecke, alle schon belegt und ich möchte sowieso lieber liegen als sitzen. Also lande ich auf der Pritsche Nr. 7 und werde sofort mit Sauerstoff versorgt. Die Sesselinhaber 1 – 5 beobachten interessiert das Treiben um mich herum. Sie sitzen in der ersten Reihe. Intimsphäre, Datenschutz … alles Fehlanzeige und das ist mir auch gerade völlig egal.
Ein Arzt kommt und erklärt, was er für Pläne mit mir hat. Großes Blutbild, röntgen, EKG etc. Klaus wird mit Zetteln ausgestattet und darf erst einmal an die Kasse und bezahlen. Ich kriege eine weitere Maske übergestülpt und muss irgendwas inhalieren. Jemand zapft Blut, ein anderer richtet Infusionen. Es ist ein ziemliches Gewusel um mich herum. Erfreulicherweise steigt wohl der Sauerstoffgehalt in meinem Blut zügig wieder an und als ich auch wieder etwas Farbe im Gesicht habe, werde ich zum Röntgen gebracht. Durch die offene Tür kann Klaus auf den Monitor schauen und weiß jetzt auch, wie ich von innen aussehe.
Inzwischen ist Dagma gekommen. Sie hatte zuhause Klaus Nachricht auf dem Anrufbeantworter entdeckt und war sofort losgestürzt. Gisele, die ja auch schon zwei Stunden an meiner Pritsche saß, hatten wir zwischenzeitlich dankbar nach Hause geschickt. Ich war versorgt und das Ergebnis der ganzen Untersuchungen würden wir schon irgendwie mitkriegen. Trotzdem waren wir froh, mit Dagma wieder jemanden an unserer Seite zu haben, der auch medizinische Fachbegriffe richtig verstand.
Mein Zustand besserte und verschlechterte sich abwechselnd. In einer der besseren Phasen wurde ich mit einem Töpfchen aufs Klo geschickt. Ich kenne das portugiesische Wort für "Mittelstrahlurin" nicht, wusste aber sofort was gemeint war und genoss die Darbietung der Schwester und auch von Dagma, die mir mit allerlei Gesten und Geräuschen erklärten, wie ich das Töpfchen zu handhaben hätte. Dagma begleitete mich sicherheitshalber auch noch aufs Klo. Mir war eh schon alles egal.
Das EKG wurde geschrieben und als sie die Elektroden anlegten, wurden dann auch mal die Vorhänge links und rechts neben Pritsche Nr. 7 zu gezogen und ein Paravent vor das Fußende geschoben. War eigentlich nicht nötig, die erste Riege der Beobachter war eh schon weg. Aber es kamen auch dauernd neue Patienten an. Der Letzte, an den ich mich erinnere, hatte einen grünen Punkt.
Zwischendrin kam der Arzt (Stefan, glaube ich) immer mal vorbei und berichtete von den neuesten Erkenntnissen. Ich dämmerte immer mal ein bisschen weg, weil ich so unglaublich k.o. und müde war. Irgendwann kam eine Schwester und brachte mir eine Kanne Tee und eine Plastiktüte mit einzeln abgepacktem Zwieback, Kräcker, Butter und etwas Goiabada (Guave-Paste). Das war zwar alles nix Dolles, aber immerhin machte man sich hier Gedanken darüber, dass so ein Patient nach mehreren Stunden auch mal Hunger und Durst haben könnte. In unseren Notaufnahmen zu Hause (die ich inzwischen ja alle sehr gut kenne) habe ich das noch nie erlebt. Im besten Falle bekommt man mal ein Wasser serviert. Den Tee jedenfalls habe ich dankbar angenommen und ein paar Kräcker habe ich auch gegessen.
Stefan und Kollegen haben eine Diagnose für mich: Bakterielle Lungenentzündung!
Ausgelöst vermutlich durch eine zu Hause schon übergangene Erkältung (geschwächtes Immunsystem), der Klimaanlage (Dreckschleuder) im Flugzeug und der unglaublich trockenen Luft hier (monatelang kein Regen). Stress, körperliche Anstrengung und ja – Ihr könnt den Zeigefinger jetzt runter nehmen – das Rauchen auch, haben ein Übriges dazu getan. Einmal die Arschkarte für mich. Danke schön.
Unsere Fußballfreundin Linda ist vor ein paar Jahren daran gestorben, deutlich jünger als ich. Wie viele Schutzengel hat man eigentlich zur Verfügung pro Leben?? Zwei bzw. drei von ihnen sitzen/saßen heute schon stundenlang an meiner Pritsche.
Stefan erklärt das weitere Vorgehen: Ich muss so lange bleiben, bis der für mich richtige Medikamentencocktail gefunden ist, mit dem ich die nächsten paar Tage ohne Rückfall überstehen kann. Dann ist das Schlimmste wohl geschafft. Wenn sich irgendwas verschlechtern sollte, muss ich sofort wieder einrücken. Die Medikamentierung übernimmt seine Kollegin Laura, da er jetzt Feierabend habe. Sprach's und verschwand.
Laura erscheint auf der Bildfläche. Sie sieht aus wie ein Schulmädchen, strahlt aber Ruhe und Kompetenz aus und erklärt auch alles noch einmal.
Gegen 22.00 Uhr haben wir es dann geschafft, ich kriege noch eine Spritze in den Hintern und eine Medikamentenliste und kann gehen! Klaus bringt mich nach Hause, während Dagma eine weitere Rechnung begleicht und anschließend zu Drogasil fährt und die Medikamente beschafft. Gut, dass die rund um die Uhr geöffnet haben. Nun haben wir ein elektrisches Inhalationsgerät, diverse Flüssigkeiten und Tabletten in allen Größen. Dazu einen Plan, wie alles einzunehmen ist. Klaus überwacht das Ganze und kümmert sich um die Mixturen.
In der ersten Nacht jedenfalls habe ich gut geschlafen. Vilma (gestern war ja der erste Vilma-Tag) hat mich in Ruhe gelassen und nur einmal kurz erklärt, dass das Schlafzimmer jetzt fertig sei, falls ich mich lieber ins Bett legen möchte. Klaus musste alleine zum Supermarkt; Dagma kam und brachte Suppe (Gemüsecremesuppe mit Hühnerfleisch – lecker!) und als Mittags der Hausmeister noch zweimal klingelte, wurde er von Vilma angepflaumt, wie er so laut sein könne, wo ich doch krank sei. Der arme Kerl wusste von gar nichts und war völlig verdattert.
Jedenfalls habe ich Tag 1 ganz gut rumgekriegt und viel geschlafen. Entsprechend früh bin ich dann heute aufgestanden und hab schnell mal aufgeschrieben, woran ich mich erinnere. Wenn ich den heutigen Tag noch gut überstehe, habe ich wohl mal wieder unverschämtes Glück gehabt, hell wache Schutzengel und ein paar kompetente, engagierte Ärzte und Schwestern. Über die Betreuung im Krankenhaus kann ich mich jedenfalls nur lobend äußern!
So, nun seid Ihr im Bilde und ich hab' jetzt Hunger und freue mich aufs Frühstück. Ist ja eigentlich auch ein gutes Zeichen, oder?!