Wir sind zurück in heimischen Gefilden. Hier kennen wir uns aus und müssen uns nicht für jeden kurzen Weg das Gebabbel der Navi-Tussi anhören. Wie üblich haben wir aus Belo raus erst einmal eine Stunde im Stau gestanden, weil neue Striche auf die Straße gemalt wurden. Irgendeine obra (Baustelle) ist da immer, das geht gar nicht anders. Der Rest der Strecke war dann aber ok.
Matthias neue Wohnung ist zwar klein, aber durchaus gemütlich. Das kleine Gästezimmer besteht aus einem 1,40 m breiten Bett und einem Bügelbrett, auf dem wir unsere Klamotten einigermaßen übersichtlich unterbringen konnten. Damit war das Zimmerchen aber auch schon voll. Aber sie sind ja auch erst vor kurzem eingezogen und arbeiten noch an der Optimierung der Räume. Ein bisschen Deko an den Wänden fehlt auch noch, aber voll werden die Buden ja irgendwann von selbst.
Am Donnerstag haben wir uns mittags in einem Kilorestaurant mit Stefan – ebenfalls Mitglied in unserem Verein – getroffen und sind anschließend zu GAC gefahren. Im kleinen Büro von Cida, der Leiterin von GAC, fand die Besprechung statt, zusammen mit Valeria, der Leiterin der Gruppe der kleinen Kinder und Paulo, der grauen Eminenz im Hintergrund. Der kostet mich immer am meisten Nerven, der redet und redet und redet … ohne irgendwas zu sagen. Furchtbar anstrengend, wenn man versucht, ihm zu folgen. Ich schalte inzwischen direkt ab, wenn er loslegt und uns die Zeit stiehlt. Irgendwann hatten wir es aber überstanden und auch die Dinge geklärt, die wichtig waren. Wir machten noch einen Rundgang bei den Gruppen der Kleinen, die fast alle schon auf gepackten Taschen saßen und darauf warteten, von ihren Müttern abgeholt zu werden.
Danach machten wir noch einen Rundgang im Gebäude der großen Kinder, wo die meisten Umbau- und Erneuerungsarbeiten stattgefunden hatten. Bei den Kleinen wurde nur ein schräger Abgang in eine Treppe mit niedrigen Stufen umgewandelt, auf dem ich vor ein paar Jahren mal weggerutscht und unsanft auf dem Allerwertesten gelandet war. Alle anderen Schrägen sind geblieben.
Den Rundgang im Gebäude der großen Kinder konnte ich nur zum Teil mitmachen, weil ich mir in den engen Favelagassen schon so die Knie verdreht hatte, dass ich mir keine ungleichmäßig hohen Stufen ohne Geländer mehr antun wollte/konnte. Langes Sitzen auf niedrigen Bänken, enge und schräge Gassen, Stufen – mal 40 cm, mal nur 10 und nirgendwo ein Geländer – ich fühlte mich, als hätte ich eine Schlägerei hinter mir. Es gab keine Stelle an meinem Körper, die nicht verspannt war und geschmerzt hätte. Eine Favela ist mehr was für Bergziegen oder Kletterfreaks!
Die anderen berichteten mir aber, dass die kleinen Räume oberhalb der Sporthalle inzwischen sehr gut hergerichtet und nun auch nutzbar seien. An dem von Kinderhorizonte e.V. gebauten Pool müssen ein paar Kacheln ausgetauscht werden, was auch schon in der Planung ist. Die triste Sport-/Mehrzweckhalle hat einen neuen Anstrich bekommen, es wurden neue Toiletten gebaut und alte endlich renoviert.
Von der Stadt hat GAC die Auflage erhalten, die Gasflaschen für die Küche außerhalb des Gebäudes unterzubringen. Das ist leider gar nicht möglich, weil die dann sofort geklaut würden. Es muss entweder ein Tresor gebaut oder ein Kompromiss gefunden werden, der sowohl die Möglichkeiten als auch Vorschriften unter einen Hut bringt. So etwas dauert hier Jahre. Außerdem wurde die Belüftung in den unteren Räumen bei den Kleinen bemängelt. Dort sollen weitere Fenster eingebaut werden. Auch das geht nicht, weil die Nachbarhäuser direkt drangebaut sind. Ein Fenster ins Nachbarhaus braucht niemand. Einige Häuser sollen aber abgerissen werden, so dass dann die Möglichkeit besteht, diese Auflagen zu erfüllen. Wir werden das Geld dafür als Rückstellung buchen und hoffen, dass das deutsche Finanzamt damit einverstanden ist. Es ist gar nicht so einfach, sowohl den brasilianischen als auch den deutschen Behörden gerecht zu werden; die ticken einfach ganz anders.
Insgesamt sind wir aber sehr zufrieden mit dem Zustand der Häuser und dem Engagement von Cida und ihren Mitarbeitern. Die machen im Rahmen ihrer Möglichkeiten wirklich alle einen guten Job! Es ist zum Kotzen, dass private Organisationen wie GAC nicht mehr Unterstützung von Seiten der Stadt erhalten, ihnen stattdessen dauernd neue Vorschriften gemacht werden oder Zuwendungen (z.B. Lebensmittel) ohne Vorankündigung gestrichen oder gekürzt werden. Wenn plötzlich eine Lieferung Reis, Bohnen und Öl ausbleibt, ist das schlicht eine Katastrophe. Dann müssen die Eltern angebettelt werden, die selbst nichts haben oder Kinderhorizonte e.V. muss einspringen. Im Moment scheint das aber zu funktionieren. Hoffen wir, dass es so bleibt.
Nach unserem GAC Tag war ich jedenfalls groggy und dankbar für den Beschluss, am Abend nicht mehr auszugehen und stattdessen Pizza zu bestellen und in Matthias kleiner Bude abzuhängen. Für den nächsten Morgen war ein Besuch in der riesigen Markthalle geplant und danach – um 14.00 Uhr hiesiger Zeit – wollten wir zusammen mit Stefan (er kommt aus Münster und lebt jetzt in Belo Horizonte) das Spiel von Preußen Münster gegen den SVWW anschauen.
Die Markthalle war wie immer ein Erlebnis! Hier gibt es wirklich alles … man muss es nur finden! Wir hatten Glück und sind mit einer ganz ansehnlichen Ausbeute zurück zum Auto. Unter anderem haben wir eine spezielle Käsesorte erstanden sowie geräuchertes Kassler (wie gemalt!), einen extra feinen Cachaça (Salinas Umburana), ein bisschen Krimskrams und … eine Presse, mit der man Getränkedosen auf ein handliches Maß stauchen kann. Jetzt muss niemand mehr zum Dosentrampeln antreten. Ich hatte immer Angst, dass sich dabei mal jemand verletzt und das Metall in den Fuß rammt. Die Presse muss jetzt nur noch an der Wand montiert werden und dann möglichst auch funktionieren. Ich werde berichten.
Um zwanzig nach eins verstauten wir unsere Schätze im Kofferraum und verließen das Parkhaus. Um halb zwei waren unsere weiteren Pläne am Arsch Makulatur. Ein kurzes hässliches Geräusch mitten auf der Kreuzung!
Mehrere Fahrspuren gingen sowohl nach rechts als auch geradeaus. Wir befanden uns auf der rechten Spur; der vor uns bog ab, weshalb Klaus die Geschwindigkeit noch einmal reduzieren musste. Von links hinten kam eine Dame angebraust und entschied sich wohl kurzfristig, doch nach rechts abbiegen zu wollen. Rums. Knirsch. Auto kaputt. Wenigstens hat sie danach angehalten. Klaus hat schnell ein paar Bilder auf der viel befahrenen Kreuzung gemacht, dann haben wir neben einer Verkehrsinsel geparkt und unser Warndreieck (typisch deutsch) aufgestellt. Die Dame (blond, innerlich. Von außen gefärbt. Ja, auch ich pflege meine Vorurteile!) stand auf hohen Plateausohlen (beim Autofahren streng verboten!) heulend am Straßenrand, das Handy am Ohr. Ihr Mann käme gleich, meinte sie. Die Tochter stand daneben und guckte bedröppelt. Wie aus dem Nichts war plötzlich und nach ganz kurzer Zeit der Ehemann zur Stelle und besah sich den Schaden. Er schien kein bisschen aufgeregt und tröstete seine Gattin, die keinen Fehler ihrerseits sah. Da schnell klar war, dass da keine Einigung möglich sein würde, war der nächste Weg zur Polizei. Die kommen hier nicht an die Unfallstelle, wie wir erfahren haben. Der Ehemann wusste aber, wo das nächste Revier war und so fuhren wir hinter ihm her. An einen Parkplatz war natürlich nicht zu denken, schon gar nicht an zwei. Neuza, Matthias Frau, sprang aus dem Auto, um schon mal eine Wartenummer zu ziehen, ohne die hier ja nichts geht. Für Verkehrsunfälle seien sie nicht zuständig, wurde ihr von einem Beamten erklärt. "Doch, doch, ich kümmere mich schon darum", meinte ein anderer und salutierte vor dem Ehemann von Blondi, der hinter Neuza das Revier betreten hatte.
Nachtigall, ick hör dir trapsen!
Neuza schnallte sofort, was Sache war!
Von all dem bekamen wir erst einmal nichts mit, weil wir noch am Auto waren und überlegten, wo wir die Karre jetzt wohl abstellen könnten. Im Revier war ein fürchterliches Geschrei, das wir bis auf die Straße hörten. Wie wir erfuhren, saß da drinnen ein Blut überströmter und gefesselter Mann, der vier Kinder vergewaltigt habe. Die Polizei habe ihn vor der Lynchjustiz seiner Mitmenschen gerettet und aufs Revier gebracht. Ach du Scheiße … und wir mit unserem popeligen Verkehrsunfall mittendrin!
Geraume Zeit später wurde der der Mann von vier Polizisten rausgetragen und im Hundezwinger eines Einsatzfahrzeuges abtransportiert. Danach hatten wir immerhin einen Abstellplatz für unser Auto; reservierte Parkplätze für Polizeiwagen gibt es hier nämlich nicht.
Ich sag' Euch, in einem solchen Revier geht es zu, wie im ewigen Leben! Etliche Leute saßen auf den diversen Wartebänkchen, ca. zehn Polizeibeamte standen irgendwo rum, telefonierten, salutierten, trugen ihre großen Schlagstöcke spazieren oder schauten auf den großen Fernseher, der hinter den beiden kleinen Schreibtischen an der Wand montiert war. So richtig Arbeit jedenfalls war nicht zu erkennen. Außer dem Beamten (lt. Neuza hatte der höchstens drei Jahre die Schule besucht), der sich verzweifelt mit dem Computer abmühte und die Personalien der Unfallbeteiligten sowie deren Berichte einzugeben suchte, schaffte da wirklich keiner was. Nach etwa anderthalb Stunden war Schichtwechsel. Danach hatten wir zehn andere Beamte, die telefonierten oder ihre Eier schaukelten. Irgendwann wurde noch ein Mann in Handschellen ins Revier geführt, aber den hatten die vermutlich auch nicht selbst gefangen. Nur der arme Hansel an "unserem" Schreibtisch durfte noch nicht heimgehen, der war ja noch lange nicht fertig mit seinem Bericht.
Ich kürze das alles jetzt mal ab. Der Ehemann von Blondi - nachfolgend "das kleine Arschloch" genannt - war wohl ein höheres Tier bei der Zivilpolizei. Er versuchte verzweifelt, dem Gringo Klaus etwas anzuhängen, studierte seine Papiere und auch den internationalen Führerschein sehr eingehend. Scheiße, alles in Ordnung! Neuza hat mitgekriegt, wie er das so vermutlich an seine eigene Dienststelle am Telefon weitergeleitet hat. Überhaupt war der nur am Telefonieren, während Blondi das Blaue vom Himmel log. Als der Bericht endlich fertig war, durften Neuza und auch Blondi ihn am Bildschirm noch einmal durchlesen. Neuza sagt, so viele Rechtschreibfehler auf einmal habe sie noch nie gesehen. Blondi hatte sich inzwischen eine neue Version des Unfallhergangs ausgedacht und der Beamte musste noch einmal eine Korrektur aufnehmen. Ich hätte sie umbringen können, die blöde Kuh! Die Korrektur hat eine weitere 3/4 Stunde Zeit gekostet. Danach waren wir aber immer noch nicht fertig, weil dann noch die Schäden an den Autos aufgenommen werden mussten. Nach gut drei Stunden auf der Wache hatten wir es endlich geschafft und alle gingen wieder ihrer Wege. Das Protokoll wurde per Email an die Unfallbeteiligten verschickt. Zum Abschied sagte Blondi noch zu Neuza, wenn wir an einer gütlichen Einigung interessiert seien, so würde sie dem zustimmen. Gemeint war, jeder zahlt seinen Schaden selbst und die Versicherungen werden nicht in Anspruch genommen. Träum weiter, Herzchen!
Zuhause angekommen, sicherte Klaus gleich mal die Aufzeichnungen der Dashcam und Matthias schickte die kurze Sequenz mit dem Unfallhergang an das kleine Arschloch. Er kann das Video jetzt in Ruhe mit den Ausführungen seiner Gattin vergleichen und "sich ein Ei drauf pellen". Eine Reaktion auf unsere Email kam bisher jedenfalls nicht und er wird sich auch denken können, dass wir unseren Schaden nicht selbst bezahlen werden. Die Gringo-Abzocke hat leider nicht funktioniert!
Am Abend waren wir dann mit Valeria, Cida, Paulo und Stefan zum Essen verabredet. Valeria hat abgesagt, Cida und Paulo kamen mit einer kleinen (angekündigten) Verspätung von einer guten Stunde an. In Brasilien ist das völlig normal (gerne auch ohne Ankündigung); mich macht das bekloppt, weil wir dann erst um halb zehn endlich essen konnten. Obwohl unser Auto noch fahrtüchtig war, haben wir beschlossen, mit Uber zum anderen Ende der Stadt zu fahren. So konnte auch Klaus sich an Bier und Caipirinha laben.
Am nächsten Morgen sind wir gleich nach dem Frühstück in Richtung Heimat aufgebrochen und waren am späten Nachmittag zurück in Poços.
Klaus hat übrigens gleich nach dem heutigen späten Frühstück die Dosenpresse angebracht (am Sonntagmittag mal eben vier Löcher in die Wand bohren ist hier kein großes Ding) und … sie funktioniert prima. Guckstu:
Nun zur Abwechslung mal einen PKW-Unfall!
Das Beste daran ist die Beschreibung von Moni. Ich könnte mich kugelrund lachen. Ging Euch leider nicht so. Drücke die Daumen, dass Ihr den Schaden bis 2020 bezahlt bekommt.
Ist schon ein seltsames Land. Ihr habt Glück, dass Ihr so viele liebe Bekannte habt, die Euch in den entscheidenden Fällen zur Seite stehen.
Weiter einen schönen Aufenthalt.
Ich freue mich auf die nächsten Infos
Mhaf
eigentlich brauchen wir wirklich keinen Fußball … zumal wir das Spiel dann auch noch 3:0 verloren haben. War wohl wirklich nicht unser Tag!
Klaus hat inzwischen das Video auch hier im Blog eingestellt. Ich hoffe, Du kannst es anschauen - bei mir hat es erst nach einigen Versuchen funktioniert.
Falls nicht: Beschwerden sind an Klaus zu richten!
LG, Moni